Vater Anton Ledwinka war Kantineur in der (alten) Pionierkaserne in der Markgasse und konnte mit diesem Beruf seine Famile mit acht Kindern (sechs Buben, zwei Mädchen) eigentlich recht gut versorgen. Auch zwei seiner Söhne waren in der Gastronomie tätig. Heinrich (1880 - 1911) und Friedrich (1875 - 1910) waren Pächter des seinerzeit renommierten Lokals Herzogshut auf dem Rathausplatz in Klosterneuburg . Es stellte sich allerdings im Laufe der Erziehung bald heraus heraus, dass der gastronomische Bereich nicht wirklich den Neigungen des jungen Hans Ledwinka entsprach, sondern dass dessen Vorlieben eher auf handwerklichem Gebiet zu finden waren. Unter diesen Umständen erschien es Vater Anton sinnvoll, seinem kinderlosen Schwager, Johann Zwieauer, der eine gutgehende Schlosserei im 15. Wiener Gemeindebezirk besaß, mit der Ausbildung seines Sohnes Hans, im Besonderen aber mit dessen beruflicher Entwicklung zu betrauen.
So besuchte Hans von 1884 bis 1889 die Volksschule der Schulbrüder in Wien, Fünfhaus und dann für drei Jahre die Bürgerschule. Von 1892 bis 1895 erlernte er daraufhin bei Johann Zwieauer das Schlosserhandwerk. Hier eignete er sich sein umfassendes Verständnis für metallische Werkstoffe an. Nach abgeschlossener Lehrzeit besuchte er zur Weiterbildung die Werkmeisterschule der Staatsgewerbeschule im 10. Bezirk in Wien.
Nesselsdorf (Koprivnice) - Mitarbeit beim Automobilbau
Der Direktor Hugo Fischer von Röslerstamm holte den jungen Ledwinka 1897 von der Wr. Staatsgewerbeschule weg direkt in die Nesselsdorfer Wagenbaufabrik, wo dieser auch am 1. September desselben Jahres eintrat. Vorgesehen war er als Konstrukteur für den Bau von Eisenbahnwaggons, er meldete sich jedoch spontan zur Mitarbeit an dem ersten Automobil, das die Firma damals baute und das den Namen "Präsident" erhielt. Der "Präsident" erinnerte in seinem Erscheinungsbild noch sehr an eine Kutsche und war auf Veranlassung von Direktor Fischer mit einem 5-PS-Zweizylinder-Kontramotor der Benz-Werke in Mannheim ausgestattet, besorgt vom befreundeten Textilfabrikanten und Automobilsportler Theodor Freiherr von Liebig aus Reichenberg (Liberec).
In Nesselsdorf wurden von 1900 bis 1905 die Typen A, B und C mit 8 PS, 12 PS und 24 PS entwickelt. An der Entwicklung des letzten Typs nahm Hans Ledwinka jedoch nicht mehr teil. Er hatte 1901 Maria Fabig aus Neutitschein (Novy Jicin) geheiratet und war mit Frau und Sohn Fritz in seine Geburtsstadt Klosterneuburg "heimgekehrt", um als Konstrukteur für die Firma Alexander Friedmann in Wien zu arbeiten.
Alexander Friedmann, Maschinenfabrik, Wien - Das Dampfautomobil
Auch Meinungsdifferenzen mit dem leitenden Meister des Nesselsdorfer Automobilbaues, Obermeister Leopold Svitak hatten dazu beigetragen, dass Ledwinka der Wechsel am 1. September 1902 zur Firma Alexander Friedmann, einer alten Armaturenfabrik in Wien, ziemlich leicht gefallen war. Hier sollte er an der Entwicklung und dem Bau eines Dampfmotorwagens nach Plänen des Ingenieurs Richard Knoller mitarbeiten.
Am 15. Juli 1904 wurde auch der zweite Sohn Hans Ledwinkas, Erich, in Klosterneuburg geboren. Er sollte später die Vorlieben und Ambitionen seines Vater voll übernehmen und ein begnadeter Autokonstrukteur werden.
Nun war der Friedmann'sche Dampfwagen zwar eine interessante Entwicklung, die unter anderem auch in Paris von der Firma Weyher und Richmond betrieben wurde. Ledwinka kam daher auch für einige Monate in die französischen Hauptstadt, aber es zeigte sich damals schon der allgemeine Trend zum Benzinmotor und, dass sich letztlich der Dampfwagen nicht durchsetzen würde. Als dann von Direktor Fischer von Röslerstamm ein Angebot zur Wiedereinstellung und zwar als Leiter des Automobilbaus kam, ging Hans Ledwinka am 1. Dezember 1905 wieder nach Nesselsdorf.
Er fand dort folgende Situation vor: Kronfeld und Lang, zwei ältere Ingenieure, nach neuen Prinzipien je ein Rahmen-Chassis mit vorne stehendem Vierzylindermotor gebaut, ausserdem war eine Serie von 10 Grubenlokomotiven mit Zweizylinder-Boxermotoren aufgelegt worden (Erklärung: Nesselsdorf befindet sich nahe dem Mährisch-Ostrauer Steinkohlerevier). Die Hoffnungen, die die Generaldirektion in diese Neuentwicklungen gesetzt hatte, gingen allerdings nicht auf. Die Konstruktionen waren Fehlschläge - die Konstrukteure schieden aus der Firma aus. Das war die Lage, in der sich die "Automobilbau-Abteilung" in Nesselsdorf befand, als sie Hans Ledwinka übernahm. Ihr Leiter Obermeister Leopold Svitak ging zur selben Zeit in Pension.
Leitung der Automobilabteilung der
Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft
Es wurde die "Type S", ein 30 PS Vierzylinder mit paarweise gegossenen Zylindern, von oben gesteuerten Ventilen mit halbkugeligen Verbrennungsräumen. die in einem Winkel von 90 Grad schräg zueinender standen, entwickelt. Diesem revolutionären, weit über seine Zeit hinausgehenden Konzept gelang es schließlich den angeschlagenen Ruf der Nesselsdorfer Automobile nachhaltig zu festigen. Aber es war nicht nur das neue Motorkonzept, es war die Gesamtheit aller konstruktiven Merkmale dieses Fahrzeugs - die Anordnung der Königswelle mit ihrem Schraubenräderantrieb, die Druck-Umlaufschmierung, Kugellagerung der Kurbelwelle etc., die die Gebrauchsmotorkonstruktionen seiner Zeit weit hinter sich ließ.
Mit dem 4-Zylinder Typ "S" und dessen Weiterentwicklung dem Typ "T" hatte Ledwinka für die damalige Zeit richtungsweisende Konstruktionen herausgebracht, die international große Bedeutung fanden. Der Typ "T" unterschied sich vom vorangegangenen "S"-Typ dadurch, daß die 4-Zylinder zusammen in einem Block gegossen waren. Das war möglich, weil in Nesselsdorf eine eigene leistungsfähige Gießerei eingerichtet worden war.
Im 1. Weltkrieg stieg die Autofabrikation derartig an, dass der Verwaltungsrat das Kapital für eine neue Fabrikshalle für den Automobilbau bewilligte, die Ledwinka schon dringend erwartet hatte. Der neue Generaldirektor Erhard Köbel (der dem 1912 pensionierten Fischer von Röslerstamm gefolgt war) ließ jedoch von diesem Geld eine ganz andere Halle, nämlich eine für den Waggonbau errichten. Das verstimmte Ledwinka derart, daß er im Mai 1916 ein Angebot der Steyr-Werke in Oberösterreich als Chefkonstrukteur in die dort neu zu errichtende Automobilfabrik zu kommen umgehend annahm.
Chefkonstrukteur der neuerrichteten Automobilfabrik
der Österreichischen Waffenfabriks Gesellschaft in Steyr
Während der Zeit Ledwinkas als Chefkonstrukteur in Steyr war Generaldirektor Köbl in Nesselsdorf verstorben, und sein Nachfolger Leopold Pasching wollte Ledwinka für Nesselsdorf zurückgewinnen. Ledwinka seinerseits war auf Grund von Unstimmigkeiten mit der Leitung in Steyr nicht abgeneigt, seinen (erweiterten) Bereich in Nesselsdorf - das inzwischen "Ausland" geworden war - , wieder zu übernehmen.
Nach einem Armbruch bei einem Unfall bei einer Probefahrt in Steyr musste Ledwinka für etliche Tage ins Spital. Während dieser erzwungenen Ruhezeit entwickelte er ein völlig neues, für den konventionellen Automobilbau revolutionäres Konzept: den rahmenlosen leichten Wagen mit Zentralrohrträger, luftgekühltem Boxermotor und gelenklosem Schwingachsenantrieb. . . Eigentlich wollte Ledwinka diesen Wagen noch in Steyr bauen, aber nach sorfältiger Prüfung der Nesselsdorfer Gegebenheiten (wie z.B. zweisprachige Belegschaft) nahm er das Angebot aus Mähren an und ging Ende 1921 zum dritten Mal in das vertraute Werk zurück - jetzt als Chefkonstrukteur und technischer Direktor.
Chefkonstrukteur der Nesselsdorfer Automobilfabrik
den späteren Tatra-Werken
Nesselsdorf lag nun in der CSSR und hieß Koprivnice. Die Firma selbst war bis auf eine neue 15.000 qm Autohalle gleich geblieben. Ca. 3.000 Mann Belegschaft waren da, von denen rund 3/4 tschechisch sprachen. Man kam damit zurecht, indem alle Zeichnungen zweisprachig beschriftet wurden. Es waren zwar mehrere Halbfabrikate aufzuarbeiten, aber in der Hauptsache wurden der Bau des neuen Wagentyps mit Zentralrohrfahrgestell in Angriff genommen.
1923 hatte (als Überlebensstrategie im neuen politisch-wirtschaftlichen Umfeld) eine Fusion der "Nesselsdorfer Wagenbau-Fabriks-Gesellschaft" mit der "Ringhoffer AG" in Prag-Smichov stattgefunden. Als Name für die neue Firma mit Generaldirektion in Prag hatte man Tatra gewählt, nach dem höchsten Gebirge des Landes.
Den kleinen Zweizylindern folgten im letzten Drittel der 20er-Jahre Typen mit 4-Zylinder Boxermotoren nach, die im Wesentlichen auf den selben Konstruktionsprinzipien beruhten. Bekannt wurden die Tatra-Typen "30", "52" und "72", letzterer mit geländegängigem 6-Rad-Fahrgestell.
Mitten in dieser intensiven Schaffensperiode traf Hans Ledwinka ein schwerer Schicksalsschlag. Ungefähr 2 Jahre nach der Ankunft aus Steyr war seine Frau schwer erkrankt, und ihr Zustand hatte sich nicht mehr gebessert. Maria Ledwinka starb am 25. Juli 1926 in Nesselsdorf. Danach war Ledwinka sehr einsam. Fritz und Erich, die Söhne, waren noch in ihrer beruflichen Ausbildung begriffen und kamen nur manchmal am Wochenende nach Hause. Schließlich setzte sich jedoch Ledwinkas Naturell durch und drängte ihn noch stärker in seine Arbeit hinein.
Die neuen Wagen waren eine ausgesprochene Sensation ihrer Zeit. Im Jahr 1935 wurden die Tatra-Werke nach der nun erfolgten Vollfusion mit dem Ringhofferschen Waggonfabriken-Konzern in Ringhoffer-Tatra-Werke umbenannt und mit den Stromlinienwagen hatte die Firma eine ähnliche Erfolgsschöpfung Ledwinkas in der Hand wie 1923, als der kleine Zweizylinder vom "Typ 11" den Namen "Tatra" in die Welt trug.
Dem Lastwagenbau räumte Ledwinka immer große Wichtigkeit ein. Nach der Konstruktion des rahmenlosen Zweizylinder-Tatra-Wagens und dem Vorliegen entsprechender Erfahrungen übertrug er das Prinzip des Zentralrohres mit angetriebenen, gelenklosen Pendelachsen nun auch auf den Bau von Nutzfahrzeugen. Eine lange Serie von Lastkraftwagen, beginnend mit dem Eintonnenmodell "Typ 13", das direkt vom Zweizylinder-Personenkraftwagen abgeleitet war, bis zum 10-Tonner mit luftgekühltem 210 PS, 12 Zylinder Dieselmotor wurden nun verwirklicht. Alle diese Fahrzeuge trugen die Grundmerkmale der Tatra-Bauweise: das verwindungssteife Zentralrohr-Fahrgestell mit schwingenden Halbachsen und luftgekühlten Dieselmotoren.
Die
Technische Hochschule in Wien
verlieh dem langjährigen technischen Direktor der
Ringhoffer-Tatra-Werke
Hans Ledwinka
am 16. Juni 1944 in Würdigung seiner hervorragenden Verdienste
um die Automobilentwicklung den akademischen Grad eines
"Doktors der technischen
Wissenschaften honoris causa".
Hinweis zum Urkundentext:
Der Titel "Wehrwirtschaftsführer" war eine reine
Funktionsbezeichnung und war mit KEINER
Parteizugehörigkeit verbunden.
Leider geriet Hans Ledwinka, wie mehrere andere Menschen in dieser Zeit in Böhmen und Mähren zwischen die Mühlsteine des Tschechischen und des Deutschen Nationalismus, was ihn an seinem Lebensabend ungerechterweise um die wohlverdiente Würde und Ruhe brachte.
Haft im kommunistischen System und Ruhestand
Das Amtsblatt der Stadtgemeinde Klosterneuburg beschreibt in seiner Kulturbeilage vom Oktober/November 1978 diesen Lebensabschnitt Hans Ledwinkas sehr eindrucksvoll:
...Da kam der Zusammenbruch des Jahres 1945. Ledwinka blieb zunächst in der CSSR, obwohl man ihm nahelegte, mit dem nächsten Österreichtransport in die Heimat zurückzukehren. Das lehnte er ab mit der Begründung ".... das würde wie eine Flucht oder ein böses Gewissen aussehen...". Er wurde aber doch verhaftet, vor ein Gericht gestellt und in einem der üblichen Schauprozesse, obwohl man ihm nur Lappalien vorwerfen konnte, zu sechs Jahren Haft verurteilt, die er an verschiedenen Orten, zuletzt in Nikolsburg (Mikulov) abbüßen mußte. Von hier brachte ihn nach dem Verlust seines Vermögens und seiner Habseligkeiten ein Wagen der Österreichischen Gesandtschaft in die Heimat. In der CSSR aber baute man weiter Autos nach seinen Plänen. Jahre später, anläßlich eies Werksjubiläums, lud man ihn als eine Art Wiedergutmachung nach Nesselsdorf ein.
Zahlreiche Ehrungen wurden ihm zuteil, so 1961 "Das Österreichische Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft 1. Klasse" durch den Österreichischen Bundespräsidenten Adolf Schärf, kurz darauf die "Diesel-Medaille in Gold.", 1965 erhielt er das "Große Verdienstkreuz des Verdienstordens der BRD" und das "Ehrenzeichen des VDI" (Verein Deutscher Ingenieure)...., um nur einige zu nennen.
Noch 1967, kurz vor seinem Tode, kam der 89-Jährige einem Besucher ...."strahlend und energiegeladen im Stiegenhaus entgegen, führte ihn zu einer mehr als 4-stündigen regen Unterhaltung in sein Arbeitszimmer".... Am 2. März 1967 überraschte ihn der Tod. In Pullach bei München wurde er zur letzten Ruhe bestattet.
1992 erfolgte die vollständige Rehabilitierung durch das Oberste Gericht der CSFR
Der Name "Ledwinka" ist aber in Klosterneuburg, dem Herkunftsort des genialen Automobilkonstrukteurs und dessen Sohn Erich, auch weiterhin anzutreffen. Heute noch leben mehrere seiner Großneffen, bzw. deren Kinder, in Klosterneuburg, Untere Stadt. Wie die nebenstehende Photographie mit Widmung zeigt, war auch ein persönlich verwandtschaftliches Nahverhältnis bis 1963 durchaus gegeben.
Am 5. März 2010 erreichte uns eine Mitteilung über e-mail aus Holland, verfasst von Herrn Kees Smit, Webmaster von www.tatraworld.nl, wonach Dr.-Ing. h.c. Hans Ledwinka nach Bemühungen des Schreibers im Jahr 2007 in den Ehrenkreis der European Automotive Hall of Fame in Genf aufgenommen wurde. Dem Schreiben waren untenstehende Abbildungen beigelegt. Das rechte Bild zeigt Hans Ledwinka, den Sohn von Erich Ledwinka bei der Übernahme der Ehrentafel.
Mehr Info über die K K - G auf der Homepage: www.kultur-klosterneuburg.at
Wolfgang Schmarbeck: Hans Ledwinka, Seine Auto - Sein Leben, ISBN 3-900310-56-4
Dr. Hans Seper: HANS LEDWINKA 1878 - 1967, Ein Pionier des Automobilbaues, Techn. Museum Wien
Amtsblatt der Stadtgemeinde Klosterneuburg, Oktober/November 1978
Kurier Sa. 14.Juli 1984
http://www.lasska-brana.cz/download/Ledwinka-DE.pdf
http://www.tatraworld.nl
Wikipedia, die freie Enyklopädie
Unterlagen von und Gespräche mit Kurt Ledwinka, Großneffe Hans Ledwinkas
Gestaltung: Dipl.-Ing. Heinz Köfinger